Artikel vom 01.11.2023
Bonität & Datenschutz: Schufa löscht Millionen Positivdaten
Woran erkennt man gute, woran miese Zahlungsmoral? Die Methoden, derer sich Wirtschaftsauskunfteien zur Prognose und Datensammlung bedienen, gelten als umstritten. So streiten sich Daten- und Verbraucherschützer seit Jahren mit der Schufa. Nun geht alles plötzlich ganz schnell: Deutschlands größte Wirtschaftsauskunftei löscht nun Positivdaten von Millionen Mobilfunkkunden - was steckt dahinter?
Warum es negativ ist, Positivdaten zu speichern
Nicht nur negative Daten, die auf schlechte Zahlungsmoral deuten, auch neutrale Positivinformationen - wie aus Mobilfunkverträgen - erlauben Rückschlüsse auf die Bonität von Verbrauchern. Positivdaten ohne Erlaubnis einfach an Wirtschaftsauskunfteien wie die Schufa weitergeben? Unzulässig, so die Verbraucherzentrale NRW - und zog im Verbrauchernamen gegen Telefónica O2 vor Gericht, um im März vor dem Landgericht München den Sieg zu feiern. Positivdaten, so das Urteil, sprich, Informationen zu "Beantragung, Durchführung und Beendigung" von Verträgen dürfen im Gegensatz zu nicht vertragskonformem Verhalten (Zahlungsausfälle etc.) nicht übermittelt werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Dennoch löscht die Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung, kurz Schufa, seit dem 20. Oktober die zu Unrecht gespeicherten Positivdaten.
Handyvertrag? Ein Datensatz geht auf die Reise
Daten von Millionen Verbrauchern, die Mobilfunkfirmen ohne Anlass weiterschickten. Die Praxis ist bei Auskunfteien seit langem gang und gäbe: Neben der Schufa speichert auch Konkurrentin CRIF Handyvertragsdaten im großen Stil, von Freenet über Telekom bis Vodafone. Das rief das Bayerische Landesamt für Datenschutz auf den Plan. Wie kommen Auskunfteien konkret an diese Infos? Nichts einfacher als das: Jedes Mal, wenn ein Handyvertrag geschlossen wird, erfährt auch die Schufa - oder eine andere Auskunftei davon. Dort zückt man den Taschenrechner und kalkuliert standardmäßig die Wahrscheinlichkeit, dass die Handyrechnung auch bezahlt wird. Mehrere Mobilfunkverträge gleichzeitig? Suspekt, auch ohne Mahnungen und Verschulden seitens des Handykunden - und daher schlecht für dessen Schufa-Score und wirtschaftliche Bewegungsfreiheit. Obwohl diese Einschätzung der Kreditwürdigkeit nur prognostiziert statt faktisch belegt ist.
Nichts dazugelernt?
Verbraucherschützer kritisieren diese Vertragsdatenspeicherung als intransparent. Es sei nicht klar, inwieweit sich die Speicherung von Positivdaten negativ für Mobilfunkkunden auswirke. Im Fall von CRIF sind dies Informationen wie Bankverbindung, Mailadressen, Vertragsbeginn und Vertragsende. Eigentlich sollte es die Auskunftei-Branche besser wissen: Schon vor Jahren wurde die gleiche Praxis im Bereich Energieverträge bekannt - und untersagt. Datenschützer hatten zu Recht bemängelt, dass Positivdaten durchaus Rückschlüsse auf das Verbraucherverhalten zuließen. Wie Stromkunden zeigten, die auf der Jagd nach Spartarifen häufig den Energieversorger wechselten. Diesen ist solches Tarifhopping ein Dorn im Auge. Also versuchten sich Unternehmen vor Sparfüchsen zu schützen, indem sie diesen überteuerte Tarife oder erst gar keinen Vertrag anboten.
CRIF baut an Minischufa
Dabei war der Beschluss der Datenschutzkonferenz (DSK) von Bund und Ländern eindeutig: Datenweitergabe und -nutzung zur Feststellung der Kreditwürdigkeit ist nur erlaubt, wenn die Zahlungsmoral angesichts ungezahlter Rechnungen zu wünschen übrig lässt! Seither ging einige Zeit ins Land, doch die Mobilfunkbranche pflegt Business as usual. De facto entsteht so peu à peu ein riesiges Register sämtlicher Handynutzer, auf das alle Unternehmen nach gusto zugreifen können. So fütterte CRIF lange unbemerkt eine Art Minischufa, einen Datenpool speziell für Telekommunikationsfirmen - unter dem Label Telco Information Platform (TIP). Auch ist in den CRIF Datenschutzhinweisen offen zu lesen, dass CRIF Positivdaten zum Scoring einsetzt. Bei CRIF kein Unrechtsbewusstsein: Schließlich handele es sich um einen geschlossenen Branchenpool, der Abgleiche ermögliche, um zu erkennen, ob jemand bei Alter oder Identität lügt. Hier wäscht eine Hand die andere: Mobilfunkunternehmen, die selbst Kundendaten an CRIF liefern, dürfen den Pool ihrerseits anzapfen.
Daten speichern zur Betrugsprävention?
Längst hat die Datenschutzkonferenz klargestellt: Nur begründeter Betrugsverdacht, nicht reine Betrugsprävention rechtfertigt die Vertragsdaten-Weitergabe. Bei Freenet dagegen sieht man sich mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) konform. Richtig ist, dass Erwägungsgrund 47 DSGVO ein berechtigtes Interesse Verantwortlicher an der Verarbeitung personenbezogener Daten bekräftigt, um Betrug zu verhindern - aber nur im "unbedingt erforderlichen Umfang". Insofern fordern Verbraucherzentralen von Telekommunikationsunternehmen den Nachweis, wie die Datenerhebung konkret bei der Betrugsprävention hilft. Schließlich, so die Verbraucherzentrale NRW, steckten die Daten zu Ausfallrisiken ja bereits in Negativeinträgen zu Zahlungsschwierigkeiten.
Löschen ändert den Schufa-Score
Nach eigenen Angaben stoppte die Schufa die Datenübermittlung schon 2022, aber ohne die Daten aus den Servicekonten zu löschen. Jetzt stecken Auskunftei und Telefonanbieter auf. Daten von mehr als 20 Millionen Kunden sollen gelöscht bzw. - so der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) - nicht länger genutzt werden; auch die Schufa will Positivdaten nicht mehr verwenden. Interessant dabei: Durch Löschung der Positivdaten ändert sich der jeweilige Verbraucher-Schufa-Score! Nur minimal, winkt die Auskunftei ab. Bei 53 Prozent fiele dieser sogar niedriger - und nur bei 47 Prozent nach Löschung höher aus. Kalkuliert wird am Modell Bankenscores. Ein Score, so die Schufa, der bei Verbrauchern nach unten gehen könne, die - wie etwa Eheleute mit gemeinsamem Konto - nur wenige Vertragsbeziehungen pflegen. Was beweist: Wo Datenverarbeitung nur reiner Betrugsprävention dient, dürfte eine Datenlöschung kaum Einfluss auf den Bonitätsscore nehmen!
Selbstauskunft anfordern, bevor Daten gelöscht sind
Verbraucherschützern reicht das nicht: Telefonanbieter sollen die Weitergabe von Positivdaten an Auskunfteien komplett einstellen. Derweil sucht die Schufa nach neuen Prognose-Wegen. Langjährige Verträge machen, teures Handy inklusive? Nicht ohne Datenbasis. Dazu will die Schufa aber neue Datenbestände schaffen - getrennt vom übrigen Scoring. Inzwischen rollt eine wahre Klagewelle auf Schadensersatz an. Die ersten von tausenden Klagen gegen Telekom & Co. reichten Kölner Verbraucheranwälte im September ein. Die Kanzleien sehen die aktuelle Datenlöschung kritisch, da hierdurch Beweise vernichtet werden könnten. So dass Mobilfunkkunden bald nicht mehr feststellen könnten, welche Daten durch den Telefonanbieter widerrechtlich an die Schufa gegangen sind. Kurz, wer seine Daten retten will, sollte schleunigst Selbstauskunft verlangen! Ebenso wie die Mandanten der Verbraucheranwälte - darauf angewiesen, um ihre Klagen wirksam zu unterfüttern.