Artikel vom 19.04.2023
Was darf Adresshandel? Werbepost, Pro-Abos & Co.
Werbebriefe verstopfen den Briefkasten, E-Mails das Postfach. Wo kommt all der Junk her? Firmen haben Ihre Datensätze angekauft, um sich weitere Käuferkreise zu erschließen und Zielgruppenprofile zu erstellen. Adresshandel steht weiter im Fokus der Datenschutzkonferenz - die Beratungen zeitigen erste Ergebnisse. Was ist erlaubt, beim Handel mit Adressen?
Landesdatenschützer: DSGVO spricht gegen Weitergabe zu Werbezwecken
Schon 2018 veröffentlichte die Konferenz der Datenenschutzbehörden des Bundes und der Länder (DSK) eine Orientierungshilfe zur Verarbeitung personenbezogener Daten für Zwecke der Direktwerbung unter DSGVO-Geltung. Aber die Beratungen gehen weiter. Die Mehrheit der Landesdatenschutzbeauftragten denkt, dass die DSGVO die Adressweitergabe zu Marketingzwecken ohne Zustimmung nicht mehr zulässt. Verständlich, dass dies der Adresshändler-Lobby, dem Deutschen Dialogmarketingverband (DDV), nicht schmeckt: Schließlich macht diese Branche jährlich Milliardenumsätze mit Verbraucherdaten. Entsprechend interpretiert der DDV das europäische Datenschutzrecht anders. Änderungen am bisherigen Adresshandel müssten auf europäischer Ebene passieren, so das Argument. Was deutsche Landesdatenschützer sagten, sei nur einer Rechtsmeinung.
Gläserne Verbraucher: Wie mit Adressdaten verfahren?
Stefan Brink, ehemaliger Datenschutzbeauftragter von Baden-Württemberg, hält dagegen. Schließlich würden neben der Adresse noch mehr Merkmale gespeichert - wie Beruf, Alter oder Status als Mieter oder Eigenheimbesitzer. Niemand müsse sich zu Werbezwecken durchleuchten lassen. Und dabei geht es nur um das, was legal und zulässig ist - nicht um unterschätzte Gefahren durch achtlos ins Altpapier geworfene Adressen, die auf Rechnungen, Katalogen und privater Post prangen. Sensible Daten, die einschließlich Briefumschlag in den Shredder gehören! Auch ein Eintrag auf der so genannten Robinsonliste kann die Werbeflut eindämmen helfen - entweder auf der Liste des DDV selbst (nur per Brief möglich, Eintragung nach fünf Jahren zu erneuern) oder online und unbegrenzt beim Interessenverband Deutsches Internet (I.D.I.), erstreckt auch auf Werbemaßnahmen per E-Mail. Per Wer hat an Werbung kein Interesse? Per Robinsonliste können Unternehmen Abgleiche vornehmen.
Welche Informationspflichten für Adresshändler?
Ein verschärftes europäische Datenschutzrecht, die sogenannte Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), gilt schon seit 2018 - konsequent angewendet wird es noch immer nicht. Denn es reicht nicht, sich als Adresshändler auf ein berechtigtes Interesse zu berufen. Die meisten Landesdatenschützer sind sich einig: Die DSGVO sieht vor, dass Verbraucher vor dem Verkauf ihrer Adresse unaufgefordert zu informieren sind - und dem ausdrücklich zustimmen müssen. Informieren heißt, dazu aufzuklären,
- wer die Informationen wünscht
- welchen Zwecken diese dienen sollen
- um welche (personenbezogenen) Daten es sich handelt
- wie lange diese genutzt werden
In der Praxis kaum durchführbar, klagt die Branche. Woher die Unklarheiten? Nun - die DSGVO regelt den Adresshandel nur implizit: Um Daten zu erfassen und zu verkaufen, braucht es die informierte Einwilligung i.S.d. Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO sowie das berechtigte Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO.
Landesdatenschutz NRW schießt quer
Der Hase liegt beim berechtigen Unterehmensinteresse an Erfassung und Datenweitergabe im Pfeffer. Alle deutschen Landesdatenschutzbeauftragten sind sich darin einig, dass eine Datenweitergabe per Adresshandel zu Werbezwecken auf Grundlage berechtigten Interesses nur noch möglich ist, wenn die Betroffenen informiert wurden und eingewilligt haben. Leider mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen, wo man auf dem berechtigten Interesse des Adresshandels pocht. Spielen die wirtschaftlichen Interessen dieses Bundeslandes hier hineiin? Schließlich sitzen zwei der größten Adresshändler, beide Töchter von Deutscher Post und Bertelsmann, in NRW. Und als Zweifel an der Datenweitergabe durch die Deutsche Post aufkamen, erklärte diese, man habe seine Tätigkeit dem Landesbeauftragten für Datenschutz gemeldet - keine Beanstandungen.
Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb: Werbung als Belästigung
Darüber hinaus sind beim Werben mit gekauften Adressen neben dem Datenschutz auch § 7 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) zu beachten. Bestimmte Werbemaßnahmen, sog. unzumutbare Belästigungen, sind nur mit Einwilligung erlaubt. Als Kraut gegen Werbung durch einzelne Firmen ist nur die genannte Robinsonliste gewachsen. Ist Werbung klar unerwünscht, dürfen Verbraucher nicht angesprochen werden, weil eine Belästigung. Heißt im Umkehrschluss: Wird die Einwilligung in den Weiterverkauf erklärt, ist Werbung nicht mehr unerwünscht. Sie möchten als Unternehmen nicht riskieren, dass sich Verbraucher durch Ihre Werbemails belästigt fühlen? Stellen Sie sicher, dass auch die Einwilligung i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG erklärt wurde. Ausnahme: Jemand hat bereits bei Ihnen bestellt bzw. Ihren Werbemails danach nicht widersprochen haben. Vorsicht bei Einträgen in Telefonbüchern oder Kontaktdaten durch Impressumspflichten oder in Handelsregistern! Diese Daten wurden nicht zu den Zweck veröffentlicht, im Anschluss Werbung zu erhalten - das schutzwürdige Interesse des Betroffenen hat Vorrang vor Ihrem berechtigten Interesse als Unternehmer.
Die Post: Vom Gelben Riesen zum Riesenhändler
Postadress Global bzw. Deutsche Post Direkt, einer der größten deutschen Adresshändler, versichert auf seiner Website, dass ihm der Schutz personenbezogener Daten "aus ethischen Gründen am Herzen" liegt - seine Kunden verließen sich schließlich darauf. Wie 70 von 100 der größten deutschen Finanzdienstleister. Dabei besitzt die Post Daten zu Alter, Bildung, Bankverhalten, Pkw-Besitz, Kaufkraft u. v. m. und wirbt damit, dass über 150 Merkmale "eine zielgruppengenaue Adressselektion" kein Problem sei. Neben eigenen Datenbeständen kauft die Deutsche Post Infos von Ämtern wie dem Kraftfahrtbundesamt an. Sie möchten wissen, was Adresshändler wie Post Direkt über Sie gespeichert haben? Verlangen Sie eine Selbstauskunft, um erfahren, um welche Daten des geht, woher sie stammen und wofür sie genutzt werden. Wer sich vor unerwünschter Werbung schützen wolle, so der Sprecher der Unternehmens, solle der Nutzung für Werbezwecke widersprechen. Und fügt hinzu, dass Verbraucher mit ihren Daten, etwa bei Gewinnspielen, weniger freigiebig sein sollten.
Tracking: Pur-Abo oder nicht?
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) fordert, den Verkauf von Verbraucheradressen einzuschränken. Zumal die Rechtsgrundlage nicht mehr neu sei. Zeit, für die Datenschutzbeauftragten, endlich Klarheit zu schaffen. Eine Etappe wurde im Rahmen der Datenschutzkonferenz vom 22. März 2023 nun genommen, mit einem Beschluss zu Pur-Abo-Modellen auf Medien-Webseiten. Pur-Abos? Das sind diese Einwilligungsbanner, die jedes Mal aufploppen, sobald Sie einen Artikel lesen möchten. Die Wahloptionen? Entweder Pur-Abo abschließen oder ohne Abo einwilligen, dass Ihre Daten für profilbasierte, individualisierte Werbung genutzt werden dürfen. Pur-Abo geklickt? Dann können Sie das Angebot nutzen ohne getrackt zu werden. Falls nicht, haben Sie Ihre Daten gerade gegen das Lesen des gewünschten Inhalts verkauft.
Beschluss zu Pur-Abos auf Webseiten
Der aktuelle Beschluss zur "Bewertung von Pur-Abo-Modellen auf Websites" benennt nun konkrete Anforderungen: Es ist erlaubt, für die Nachverfolgung von Nutzerverhalten (Tracking) die Einwilligung einzuholen - und sich darauf zu berufen, dass man alternativ ein Modell ohne Tracking angeboten hat. Dieses darf auch kostenpflichtig sein. Aber: Die Zustimmung muss für alle Zwecke und Dienste einzeln (granular) abgefragt werden. Durchaus eine Verbesserung, was die Transparenz bei den Prüfmaßstäben angeht, die Datenschützer in Beschwerdeverfahren anlegen!